Etwas kühn ist der erste Ansatz aber durchaus klangvoll. Töne schwirren wie getragen von russischem Brokat. Es geht über Berg und Tal. Dann überwiegen leise Töne, schmiegen sich an, werden nach und nach wieder betont. Ein Wirbel ertönt. Es geht die Klaviertastenreihe hinauf, nicht übertrieben, wie das oft bei den Russen ist, kolossal und übertrieben, sondern bleibt angemessen. Immer noch erklingt der erste Abschnitt ‘Allegro Agitato’ Piano Sonate Nr. 2 aus dem Jahre 1913 von Rachmaninov. Die Schreibweise einmal mit v am Schluss und einmal mit f irritiert. Lexikalisch ist am Schluss sogar ein w eingetragen. Der Komponist selbst bevorzugte die Schreibweise mit zwei f am Schluss vielleicht ein visueller Gag auf dem CD-Cover. Pianist der Musik-CD von tyx-art, die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, ist ein junger Mann mit Namen Emre Yavuz. Er stammt aus der Türkei und beherrscht die Klänge des Instruments ganz für sich. Eine geradezu winterliche Stimmung zelebriert der Pianist, die konzertant ist, aber ohne orchestrale Begleitung bleibt. Jahreszeitlich wäre das ein passendes, vorweihnachtliches Geschenk an alle Zuhörer, wobei die manchmal scherenschnittartige Schärfe nicht zum Nachteil der Interpretation und des Solo-Pianisten gedeihen soll. Auch verspielte Passagen kennt das Stück, doch immer wieder kehrt Dramatik zurück. Wie wenn jemand aus dem Hintergrund Anlauf nimmt, um bis nach vorne zu gelangen. ‘Non Alegro’ ist sachter, kommt auf leisen Pfoten. Etwas Melancholie und melodischer Zweck verbreitet sich. Am Schluss hämmert das Klavier, löst sich auf in Getöse. Danach beginnt erst der Hauptteil der Musik-CD: 10 Präludien, erst sachte, betont und lauter werdend. Fast ironisch ist G-Minor, g-Moll, Alla Marcia. Ein Stück das schon sehr häufig gespielt und veröffentlicht wurde. Im Vergleich zu anderen Interpreten erinnert die Aufnahme mit Emre Yavuz nicht gleich an die langatmige Melodramatik Richard Wagners im 19. Jahrhundert, sondern behält pianistische Würze und tonale Schärfe bei.
Kulturexpress